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    Schrottfahrräder: Ein wachsendes Problem in deutschen Städten

    Anja Benson
    Anja Benson
    13. Juni 2024 6 Min.
    Schrottfahrräder: Ein wachsendes Problem in deutschen Städten

    Man sieht sie überall in Deutschland: herrenlose Fahrräder, die oftmals schon seit Monaten nicht mehr bewegt wurden und bereits bessere Tage gesehen haben. Sie verschandeln das Stadtbild, rosten vor sich hin und nehmen vielerorts dringend gebrauchte Stellplätze weg. Ihre Beseitigung verursacht zudem hohe Kosten für Städte und Gemeinden. Die Fahrradexperten von buycycle sind daher der Frage nachgegangen, wie groß das Problem wirklich ist, welche Kosten für die Allgemeinheit damit vermutlich verbunden sind – und welche Alternativen es für nicht mehr benötigte Drahtesel gibt.

    Wolfgang Großmann kümmert sich als Geschäftsführer der P+R Park&Ride GmbH in München darum, dem Problem in der bayerischen Landeshauptstadt entgegen zu wirken. Er erklärt, wieso seiner Meinung nach so viele Fahrräder im öffentlichen Raum entsorgt werden:

    „Schrotträder oder sogenannte aufgegebene Fahrräder verschandeln unsere Städte und blockieren Fahrradstellplätze. Damit behindern sie aber auch den dringend notwendigen Umstieg auf das Fahrrad, weil diejenigen, die aktiv mit dem Rad unterwegs sind, keine freien Stellplätze finden. Nach unseren Erfahrungen handelt es dabei nicht nur um gestohlene oder buchstäblich vergessene Räder, oftmals ist den Eigentümer*innen auch der - meist nur geringe - Aufwand, das Rad wieder fahrtüchtig zu machen, einfach zu lästig. Wir freuen uns deshalb, wenn gemeinnützige Organisationen diese Räder wieder Instand setzen und an Personen weitergeben, die sie dringend benötigen. Das ist Nachhaltigkeit im besten Sinne.“

    Was macht ein Fahrrad zu einem Schrottfahrrad?

    Schrottfahrrad ist nicht gleich Schrottfahrrad. Viele Behörden unterscheiden zwischen aufgegebenen Rädern und Schrottfahrrädern:

    "Echte" Schrottfahrräder

    • Ihnen fehlen meist mehrere Teile wie zum Beispiel Lenker, Sattel oder Räder
    • Bei ihnen ist die Reparatur teurer als die Entsorgung

    Aufgegebene Fahrräder

    • Sie erscheinen generell noch fahrtüchtig
    • Sie haben kleinere Reparaturen oder eine Reinigung nötig

    In manchen Fällen handelt es sich bei den Schrotträdern um geklaute Drahtesel. In anderen Fällen war die Qualität der Räder minderwertig, so dass sie von den Vorbesitzern aus Frust zurückgelassen wurden. Besonders häufig finden sich solche Räder in der Nähe von Bahnhöfen, aber sie können im Prinzip überall auftauchen. 

    Das zuständige Ordnungsamt führt ein- oder mehrmals im Jahr Kontrollen durch und markiert alle auffälligen Fahrräder mit einem gelben Zettel. Die vorherigen Besitzer haben danach zwei bis vier Wochen Zeit, ihren Drahtesel zu entfernen. Geschieht das nicht, erfolgt wenig später die Beseitigung. In vielen Städten werden Fahrräder, die noch reparaturfähig erscheinen, im Anschluss für einige Zeit eingelagert. Das ist die letzte Chance, sein Rad (kostenpflichtig) abzuholen.

    Mehr Fahrräder als Einwohner in Heidelberg: Über 162.000 Schrotträder pro Jahr in Deutschland

    Für die Recherche wurden im Vorfeld einige Ämter kontaktiert. Die meisten Ämter sind jedoch auf Anfrage nicht in der Lage gewesen, genaue Zahlen zu nennen. Die Erfassung, Lagerung oder Beseitigung herrenloser Fahrräder bedeutet für die zuständigen Ordnungsämter einen großen personellen und organisatorischen Aufwand. Gerade kleinere Gemeinden können daher nicht immer detaillierte Aufzeichnungen führen. Für 19 deutsche Städte ließen sich jedoch offizielle Angaben sowie Zahlen aus Zeitungsberichten finden. Großstädte wie München, Hamburg oder Köln entfernen alljährlich im Durchschnitt weit mehr als 4.000 aufgegebene Fahrräder aus dem Stadtbild.

    Basierend auf diesen Zahlen kann eine Hochrechnung erstellt werden, wie viele Schrottfahrräder auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik kommen. Demnach kann von mehr als 162.000 aufgegebenen Fahrrädern jährlich ausgegangen werdena. Zum Vergleich: Laut dem Zweirad-Industrie-Verband e.V. wurden 2023 1,9 Millionen klassische, sowie 2,1 Millionen E-Bikes in Deutschland verkauft¹.

    Ein Blick zu unseren niederländischen Nachbarn zeigt, dass bei dieser Berechnung nicht alle Fundorte berücksichtigt wurden. Alleine in Amsterdam werden jährlich zwischen 10.000 und 15.000 Fahrräder aus den Kanälen gefischt².

    Die Räumungskosten gehen in die Millionenhöhe – am Ende zahlt die Allgemeinheit

    Die Beseitigung von Schrotträdern ist mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden. Neben Personalkosten verursachen Reinigungsaktionen auch Räumungs- und Entsorgungskosten sowie die Unterhaltungsgebühren für die Einlagerung aufgegebener Fahrräder. Das Bezirksamt Berlin-Steglitz gab gegenüber der Tageszeitung Berlin an, im Jahr 2022 von 1920 markierten Fahrrädern nur 876 entfernt zu haben³. Grund hierfür sei nicht zuletzt der finanzielle Aspekt gewesen. Die knapp 900 Fahrräder verlangten dem zuständigen Amt bereits 20.000 Euro ab.

    Wie schon bei der Anzahl der Schrottfahrräder finden sich nur wenige Angaben zu den Kosten, die sie verursachen. Bremen veranschlagt pro Fahrrad 100 Euro, in Dresden werden mit 150 Euro pro Rad gerechnet. Basierend auf der Hochrechnung ergibt sich eine Kostenspanne zwischen 16 und 25 Millionen Euro jährlichb. Diese Summen werden von der Allgemeinheit getragen, da die Erfassung und Beseitigung über Steuergelder finanziert wird.

    Schrottfahrrädern ein zweites Leben schenken: Diese Angebote machen es möglich

    Fahrräder sind teuer. Es gibt zwar regelmäßig günstige Angebote bei Discountern oder in Baumärkten. Der ADFC empfiehlt aber, bei einem Rad für den alltäglichen Gebrauch mindestens 500 Euro einzuplanen4. Dadurch bleibt vielen Menschen der Zugang zu einem qualitativ hochwertigem Rad verschlossen. Aus diesem Grund ist das Spenden alter Fahrräder eine wunderbare Möglichkeit, Platz im Keller zu schaffen und etwas Gutes zu tun.

    Ein besonders positives Beispiel für den sorgsamen Umgang mit herrenlosen Fahrrädern findet sich in München. Die bayerische Landeshauptstadt arbeitet bereits seit 2017 gemeinsam mit dem städtischen Tochterunternehmen P+R Park & Ride GmbH daran, dem Problem Herr zu werden. Insgesamt vier Mitarbeiter sind hier ganzjährig im Einsatz, um sich um die Markierung und Entfernung der Räder zu kümmern. Ein großer Fokus liegt darauf, den vielen aufgegebenen Radln eine zweite Chance zu geben. Derzeit ist das Unternehmen hierfür mit 53 gemeinnützigen Organisationen im Austausch5.

    München ist damit jedoch nicht alleine. Es gibt in Deutschland viele Anlaufstellen und Organisationen, die sich über Spenden freuen. Hierzu zählen zum Beispiel die Caritas, das Rote Kreuz oder kleinere gemeinnützige Projekte. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über einige Adressen, bei denen alte Fahrräder abgegeben werden können:

    Wer seinen alten Drahtesel lieber ganz entsorgen möchte, hat ebenfalls mehrere Optionen. Beim Sperrmüll, auf dem Wertstoffhof oder dem Schrottplatz ist die Abgabe von Alträdern in der Regel kostenlos. Viele Fahrradläden verwenden zudem ausgediente Exemplare auch gerne als Ersatzteillager und freuen sich über Anfragen.

    Fazit: Illegale Fahrradentsorgung ist kein geringes Problem

    Die Hochrechnungen machen deutlich, dass Schrottfahrräder ein verbreitetes und trauriges Phänomen in deutschen Städten sind. Um Diebstahl vorzubeugen, ist es sinnvoll, in ein hochwertiges Schloss zu investieren. Zudem können alte Drahtesel in der Regel an vielen Stellen in der Nähe abgegeben werden. Durch Spenden oder sachgerechte Entsorgung tragen wir nicht nur zur Sauberkeit und Ästhetik unserer Städte bei, sondern unterstützen auch Menschen, die sich kein neues Rad leisten können. Indem wir uns um unsere alten Fahrräder kümmern, leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen.

    Methodik und Quellen

    Um herauszufinden, wie viele herrenlose Fahrräder pro Jahr auf deutschen Straßen zu finden sind und mit welchen Kosten ihre Beseitigung verbunden ist, wurde eine umfassende Recherche durchgeführt. Da viele der kontaktierten Städte keine detaillierten Daten erfassen, wurden neben Informationen von offiziellen Webseiten auch Daten aus Zeitungsartikeln einbezogen. Die hierfür verwendeten Quellen finden sich in unserer Quellenübersicht.

    ¹ Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands e.V. zu Fahrrad-Verkaufszahlen 2023: www.ziv-zweirad.de/ziv-marktdaten-fahrraeder-und-e-bikes-2023-die-zahlen-im-detail/#:~:text=Die%20Gesamtst%C3%BCckzahl%20der%20verkauften%20Fahrr%C3%A4der,1%2C9%20Mio 

    ² Angaben zu den Mengen an Fahrrädern, die jährlich in Amsterdam aus den Kanälen geborgen werden (NH Niews, 09.07.2023): www.nhnieuws.nl/nieuws/321686/fietsvissers-halen-amsterdamse-grachten-leeg-10-tot-15-duizend-fietsen-per-jaar-komen-eruit

    ³ Angaben für die Entfernung von Fahrrädern in Berlin-Steglitz (Berliner Tageszeitung, 06.03.2024): www.bz-berlin.de/berlin/mehr-schrott-fahrraeder-in-berlin

    4 Preisempfehlung des ADAC: www.adfc.de/artikel/wie-viel-muss-ein-gutes-fahrrad-kosten5 Informationen erhalten auf Anfrage bei der P+R Park & Ride GmbH (Stand: Juni 2024).

    aBerechnung der Anzahl

    Für 19 Städte konnten Angaben zu den jährlich erfassten und beseitigten Schrotträdern gefunden werden (siehe Quellenübersicht). Für Städte, für die Angaben zu mehreren Jahren verfügbar waren, wurde der jährliche Durchschnitt berechnet. Wenn eine Spanne genannt wurde (z.B. "zwischen 5.000 und 6.000") wurde ein mittlerer Wert als Berechnungsgrundlage verwendet ("5.500"). Angaben, die sich nur auf einzelne Räumungsaktionen oder wenige Monate beschränken, wurden bei dieser Analyse nicht berücksichtigt.In einem nächsten Schritt wurde errechnet, wie hoch der prozentuale Anteil an der Einwohnerzahl ist, zunächst für die jeweilige Stadt und dann über alle untersuchten Städte. Daraus ergab sich, dass über alle 19 Städte hinweg auf jeden Einwohner etwa 0,00192 Schrotträder kommen. Hochgerechnet auf die aktuelle Einwohnerzahl (84.607.016; Stand 28.05.2024) in Deutschland ergibt sich so die angenommene Summe von 162.699.

    bBerechnung der Kosten

    Für die Hochrechnung der jährlich durch herrenlose Räder verursachten Kosten wurden zwei Zahlen verwendet. Die Zeitung für kommunale Wirtschaft gab in einem Artikel vom 09.03.2020 für Dresden durchschnittliche Kosten von 150 Euro pro Rad an. Die Neue Presse berichtete am 25.05.2018 über durchschnittlich 100 Euro pro aufgegebenem Fahrrad für die Stadt Bremen. Auf Grundlage dieser beiden Angaben wurde mit der angenommenen Anzahl von 164.091 Schrottfahrrädern jährlich eine Kostenspanne von 16.269.876 bis 24.404.814 Euro ermittelt.